Mein Diabeteslebenslauf.....

Diabetes und systemische Beratung

 Wie kommt man oder Frau auf die Idee, systemische Beratung für Diabetiker anbieten zu wollen? Dieser Frage möchte ich  in diesem Blog nachkommen. Manchmal ist es ja so, dass man bestimmte Auslöser oder Erfahrungen braucht, um gezielte Aktionen zu starten. Weil die Idee mit Hilfe von systemischer Beratung Unterstützung für Diabetiker anzubieten, ist durch meine eigene Diabetesgeschichte entstanden.

Wie schon beschrieben, habe ich seit nun mehr 29 Jahren Diabetes Typ 1. Im zarten Alter von 16 Jahren hat mein Diamonster zugeschlagen. Eiskalt erwischt hat es mich. Gerade dabei, sich aus den elterlichen Fängen zu befreien, und in freudiger Erwartung, die berufliche Zukunft zu gestalten, hat es mich im Januar 1988 erwischt. Nach einer Erkältung fing es mit den typischen Symptomen an. Starker Durst, und dass ist bei weitem noch untertrieben, Gewichtsverlust (innerhalb von 6 Wochen hatte ich 10 kg weniger), Müdigkeit und Mattigkeit. Meine Mutter stellte irgendwann ganz lapidar fest: "Entweder Du hast es an den Nieren oder du hast Zucker!" mit diesen Aussichten ging sie dann mit mir zu unserem Hausarzt - und BÄMM!!!! Treffer versenkt..... meine Mutter hatte mal wieder Recht. Ich sollte laut Hausarzt, ab sofort zuckerkrank sein..... aber das hatten doch nur alte Menschen..... dann fragte er weiter, ob ich in ein Krankenhaus wollte, oder ob er die Zuckereinstellung in seiner Praxis machen sollte. Da ich unter gar keinen Umständen in ein Krankenhaus wollte, bin ich die nächsten 4 Wochen mehrmals am Tag in die Praxis und wurde mit Insulin eingestellt. Spritzen eines Mischinsulins, zweimal am Tag, 12 BE essen, in 6 Mahlzeiten über den Tag verteilt.....

Damit begann mein Martyrium. Dass das nicht lang gut gehen konnte, kann man sich vielleicht vorstellen. Seitenweise habe ich damals mein Tagebuch damit gefüllt, was ich nun nicht mehr essen durfte..... wieder Regeln beachten, die mir dieses mal mein Arzt statt meiner Eltern vorschrieb. Die ersten Monate ging das auch gut, bis der erste Schock sich legte und ich zur Kur war, wo ich andere Jugendliche in meinem Alter kennenlernte, die auch Diabetes hatten. Das kann Fluch und Segen zugleich sein. In diesem Fall war es eher ein Fluch. Hier lernte ich, wie die anderen das mit ihrem Diabetes mehr oder weniger managten. Die hatten auch alle zwei Insuline und kein Mischinsulin, so wie ich. So wollte ich auch zwei Insuline haben, also Basalinsulin und Kurzzeitinsulin nur fürs Essen. Ich wollte wieder mehr Freiheit beim essen haben. Auf meinen Wunsch hin, wurde ich auch so eingestellt und ich fand es herrlich, jetzt wieder Schokolade essen zu können. Konnte man ja wegspritzen.

Wieder zu Hause bekam ich Ärger mit meinem Arzt. Er fand zwei Insuline viel zu gefährlich für mich und hat mir wieder das blöde Mischinsulin mitgegeben. Also wieder starre Zeiten und starre BE`s....

Was mich da am allermeisten gestört hatte, dass er mir nicht genug vertraute und meinte es besser zu wissen, was für mich gut ist. Damit war der Boden zur Rebellion bereitet!!!!

Die nächsten Jahre bot ich alles an Energie auf, all das zu tun, was man als Diabetiker nicht tun sollte. Ich wollte jetzt leben und mir nicht darüber Gedanken machen, was in zwanzig Jahren ist. Ich wollte feiern, so viel ICH wollte und ich wollte essen so viel ICH wollte..... das hieß, bei jedem Arztbesuch wurden meine Ausreden immer abenteuerlicher, wieso mein Blutzucker gerade so schlecht ist. Die ersten Jahre musste ich auch nicht meinen Blutzucker messen, das geschah immer einmal in der Woche bei meinem Hausarzt. Wie dann auch ich ein Meßgerät bekam, klappte das natürlich auch nicht. Ich hab fast gar nicht gemessen und in mein Tagebuch einfach irgendwelche Werte eingetragen.....

So hab ich meine Ausbildung zur Erzieherin absolviert, meine Eltern und meinen Hausarzt in den Wahnsinn getrieben und mein Leben in vollen Zügen genossen. Das ging einige Jährchen gut, bis ich das erste Mal eine offene Stelle am Schienbein hatte, die nicht zuheilen wollte....da war ich gerade mal Anfang zwanzig. Meine zwanziger Jahre waren geprägt vom immerwährenden Kampf mit und gegen den Diabetes. Es fiel mir sehr schwer, mich mit dieser Erkrankung anzufreunden. Ich hatte immer das Gefühl, es würde mir etwas weggenommen, wenn ich alles dafür tue eine gute Blutzuckereinstellung hinzubkeommen. Einige Krankenhausaufenthalte und die dort entstandenen Kontakte zu anderen Diabetikern halfen mir, mich ganz langsam mit meinem lebenslangen Begleiter anzufreunden. Irgendwann begriff ich, dass diese vermeintliche Freiheit, die ich unbedingt wollte, nur von außen aufgelegt war. Ständig verglich ich mich mit anderen und wollte so sein wie andere. Sie hatten und lebten ihre Freiheit. Es war schließlich ein Riesen Aha-Effekt festzustellen, dass andere auch nur mit Wasser kochen und jeder so seine kleineren und größeren Päckchen zu tragen hatte.

Ich behaupte mal, damit begann ein Prozeß, der immer noch anhält, und mich wohl mein Leben lang begleiten wird. Ich muss meinen eigenen Weg finden, mit dieser Erkrankung umzugehen, und nicht andere. Ich muss einen Fuß vor den anderen setzen, um mich weiter zu entwickeln, und nicht andere, und ich muss mein Leben leben und nicht andere!!!

Mir hat geholfen und hilft immer noch, mich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Das hätte mir kein Arzt der Welt bieten können. Deshalb bin ich mittlerweile auch ehrenamtlich engagiert. Ein weiterer Faktor auf meinem persönlichen Bearbeitungsprozeß war mein Sohn. Es ist immer wieder erstaunlich wie toll Kinder mit Handicaps umgehen. Viel besser als wir Erwachsenen. Durch meinen Sohn festigte sich in mir der Grundsatz: " Wir machen das Beste daraus!" Ich finde, wir sollten viel öfter die Welt durch Kinderaugen betrachten und unseren Kindern viel mehr Vertrauen schenken. Denn sie wissen oft, was für sie gut  ist und was eben nicht, und das aus einem unerschütterlichen Instinkt heraus.

Auch ich plage mich immer wieder mit Zukunftsängsten herum, wie es wohl sein wird, wenn mein Sohn in die Pubertät kommt oder ob er eine Ausbildung machen kann, die ihm Spass macht, und dass alles trotz Diabetes. Ich wollte nie, dass der Kerl mit 19 Monaten Diabetes bekam. Das war immer eine Horrorvorstellung für mich. Jetzt ist er fast 11 Jahre und geht sehr verantwortungsbewußt mit seinem Diabetes im Alltag um. Darauf sind mein Mann und ich sehr stolz darauf, zu Recht, wie ich finde!

Diese Gründe haben mich dazu bewogen diese Weiterbildung in systemischer Beratung und Therapie zu starten. Ich möchte gern für andere da sein, sie in ihrem persönlichen Verarbeitungsprozess unterstützen, damit sie ihren Weg finden, den Diabetes als Teil von sich zu akzeptieren und trotzdem das Gefühl haben, sie leben ein schönes, erfülltes Leben. Ich glaube, die Mischung aus eigener Betroffenheit, gepaart mit Professionalität und Expertentum kann anderen Diabetikern oder auch Familien mit Diabeteskindern die notwendige Wertschätzung und auch das nötige Verständnis vermitteln, damit diese sich zunächst gut aufgehoben fühlen. Die vielen kreativen Methoden des systemischen Ansatzes werden den Rest erledigen, so dass jeder die Chance erhält, seinen eigenen Weg zu finden, mit dieser Erkrankung umzugehen......

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Kommentare: 1
  • #1

    Flauschi (Dienstag, 12 September 2017 23:42)

    Oh das kommt mir alles sehr bekannt vor. Und selbst heute tue ich mich noch schwer.